Marketing Fail Analyse: Getir
Getir ist in Deutschland gescheitert. Dafür gibt es viele Gründe - Diese drei Fehler im Marketing gehören dazu.
Der Rückzug von Getir aus Deutschland hat viele Gründe. Fehler, die im Marketing gemacht wurden, gehören dazu. Hier sind die drei Wichtigsten.
Getir und andere Lieferdienste erleben gerade turbulente Zeiten. Was in 2022 mit einer Marktkonsolidierung begann, – nämlich als Getir Gorillas aufkaufte –, mündet nun in einem Rückzug von Getir aus Deutschland und wohl allen anderen Märkten, außer dem Heimatmarkt des Unternehmens, der Türkei.
Das liegt selbstverständlich an vielen verschiedenen Dingen: ein Geschäftsmodell mit traditionell schlechten Margen (Einzelhändler haben auf Lebensmittel meist unter fünf Prozent Marge), die auch durch das Distributionsmodell nur bedingt steigen. Dann auch noch gekoppelt mit einer relativ kleinen Zielgruppe. Denn Schnelllieferdienste funktionieren vor allem in den großen Städten. Das ist ein Problem in einem Land wie Deutschland, in dem gerade mal 13 Prozent der Bevölkerung in den zehn größten Städten wohnen.
Getir ist aber auch eine Marketinglektion, wie man Dinge nicht machen sollte.
Neben diesen, ziemlich offensichtlichen Gründen, gibt es wahrscheinlich noch 42 weitere Themen, die zum Ende von Getir führten. Besonders spannend ist aber die Marketinglektion darin. Denn die kann man auf andere Startups übertragen – unabhängig von der Branche. Und so teure Fehler vermeiden und Marketing für den Zweck einsetzen, für den es bestimmt ist: Wachstum generieren.
Lektion 1: Denke nicht in Channels – denke in Aufgaben.
Klar, Getir startete, wie die meisten Startups, mit Performance Marketing. Das ist auch richtig, um erstmal ordentlich Kunden und damit Umsätze einzusammeln. Irgendwann kam dann Out of Home dazu, um noch mehr Kunden zu gewinnen. Getreu dem Motto: „Wir haben die Performance Channels im Griff. Jetzt wollen wir einen weiteren Channel dazu nehmen.” Tut mir einen Gefallen, liebe Marketer: Streicht diesen Satz aus eurem Vokabular. Denn es geht nicht um Channels. Die bessere Frage lautet: „Welche (Marketing-) Aufgabe muss ich lösen, damit ich – kurz- & mittelfristig – mehr Kunden gewinne?”
Wenn es beispielsweise darum geht, mehr Bekanntheit zu schaffen, dann eignet sich natürlich Out of Home. Aber warum kein Radio? Oder Digital Video? Oder am besten beides. Von Getir habe ich nie Werbung im Radio gehört – dabei bin ich Zielgruppe.
Das verrückte: Die meisten Startup Marketingteams sind nahezu obsessive Zahlennerds. Und trotzdem werden die Basics ignoriert. Denn repräsentative Studien zeigen, dass die Wirkung von Kampagnen bis zu 30 Prozent steigt, wenn das gleiche Geld auf mehrere Medien verteilt wird.
Lektion 2: Bewirb deine Marke, nicht deine Kategorie.
Was war die Botschaft, die Getir Konsumenten sendete? Richtig: Du bekommst schnell deine Bestellung bequem nach Hause.
Darin liegt ein Problem: Getir setzte auf Kategoriewerbung – etwas, das eigentlich Marktführern, insbesondere in gesättigten Märkten, vorbehalten ist.
Im Schnitt erinnern grade mal 40 Prozent der Menschen die werbende Marke korrekt, wenn man sie am nächsten Tag befragt. Klar, die oben genannte Kategoriewerbung bringt neue User in den Markt, aber Getir hat weniger als die Hälfte gewonnen. Der Rest geht zur Konkurrenz.
Was lernen wir daraus? Startups müssen einen Weg finden, wie sie den Menschen beibringen, dass es einen Service gibt, bei dem sie etwas Neues machen können – in diesem Fall sich Lebensmittel schnell liefern lassen –, ohne die Kategorie zu bewerben. Dafür muss man sich fragen: „Was macht meine Marke besser als die anderen Marken der Konkurrenz?” Um bei Getir zu bleiben: Gibt es mehr Auswahl? Ist die App intuitiver zu nutzen? Gibt es qualitativ bessere Produkte?
Lektion 3: Hör’ auf Menschen zu überzeugen. Begeistere sie.
Wir Menschen sind keine rationalen Wesen. Wir entscheiden nach Gefühl und postrationalisieren unsere Entscheidungen. Kein Wunder also, dass Werbung, die emotionalisiert, statt rationale Benefits aufzulisten, doppelt (!) so stark wirkt. Das belegen unzählige Studien immer und immer wieder.
Daraus ergibt sich eine simple Frage: Wenn ich weiß, was ich besser kann als meine Konkurrenz (siehe Lektion 2), wie verpacke ich dies so einfach und emotional wie möglich, sodass der potenzielle Kunde es wortwörtlich nachfühlen kann?
Was macht es mit Menschen, wenn meine App beispielsweise intuitiver ist als die der Konkurrenz? Sie haben weniger Frust, dafür Freude.
Wäre dies bei Getir der Fall gewesen, hätte die Werbung komplett anders aussehen können. Und sei es nur, wenn man den Frust mit anderen Apps und die Freude kontrastiert hätte.
Niemand weiß, ob Getir nicht trotzdem gescheitert wäre, wenn sich der Lieferdienst an diese Lektionen gehalten hätte. Aber Getir hätte auf jeden Fall seine Chancen erhöht, mit dem gleichen Marketinginvestment stärker zu wachsen. Und gleichzeitig hätte man auch noch weniger Geld verbrannt.
Wenn man das Positive sehen möchte: Getir hat das Lehrgeld bezahlt, damit andere Startups nun von diesen Lektionen profitieren können.
Dieser Beitrag ist zuerst bei Business Insider / Gründerszene in leicht veränderter Form erschienen.