Eau de Toilette im Ölregal: Herausstechen aus der Masse
Was wird unter dem Diebstahl einer Produktkategorie verstanden?
Verbraucher*innen haben gelernt, dass Zahnpasta in Tuben und Shampoos in handlichen Kunststoffflaschen verkauft werden. Das ist schon seit Jahrzehnten so. Handelsmarken präsentieren ihre Produkte in einem optimierten und wiedererkennbaren Verpackungsdesign, welches der jeweiligen Kategorie entspricht.
Das hat Vorteile: Die Kategoriesignale sorgen dafür, dass Kund*innen durch das visuelle Erscheinungsbild Produkte schnell zuordnen und im Handel finden können. Sie wissen allein anhand der Verpackungsform, dass sie vor dem Regal mit Schokolade und nicht vor dem mit Waschmitteln stehen.
Allerdings sehen aus der Entfernung alle Shampoo-Flaschen gleich aus. Es ist ein Meer bunter Plastikflaschen. Dabei soll doch gerade am Point of Sale das Verpackungsdesign differenzieren, das Produkt hervorgehoben werden und auf den letzten Metern zum Kauf animieren. Um diesem ‚Sea of Sameness‘ zu entrinnen, greifen immer mehr Hersteller zum ‚Kategorieklau‘: Sie nutzen für ihre Produkte und Verpackungen Formen, die nicht dem gelernten Erscheinungsbild der Kategorie entsprechen. Und was passiert? Sie fallen auf und wecken Neugier, laden Verbraucher*innen zum Impulskauf ein.
Signale für Produktinnovation und Nachhaltigkeit
Auffällig ist, dass dieser Trend durch nachhaltige Produktinnovationen einen unheimlichen Schub erfahren hat: Wer stolpert nicht über modern und minimalistisch gestaltete Design-Tüten oder quadratische Schachteln in der Riege mit Zahnpasta-Tuben. Hier setzt die Verpackung klar das Signal: Ich bin anders und cool. Ich bin keine Zahnpasta, sondern ein Zahnpasta-Tab. Verbraucher*innen haben sofort im Kopf, dass es sich hier um ein neues Produkt handeln muss.
Bei Marken wie Hydrophil oder Denttabs lehnen sich diese neuen Zahnreinigungsmittel und Verpackungen an Mint-Pastillen an. Das Signal: Kein lästiges Zähneputzen mehr, sondern Genuss. Die Neugier ist geweckt, eine alltägliche Handlung wird wieder attraktiv. Das gleiche Phänomen ist auch bei festem Haarshampoo, Deodorant oder den everdrop-Reinigungsmitteln zu beobachten. Produkt und Verpackung sorgen für einen Bruch mit den gelernten Kategoriesignalen und für Aufmerksamkeit rund um Innovationen im Handelsregal.
Die nachhaltigen Produkte unterstreichen ihren Zero Waste-Gedanken mit recycelten oder recycelbaren Verpackungsmaterialien. Das allein wird aber nicht reichen. Sie brauchen den Kategorieklau, um das Gelernte zu durchbrechen und sich gegen altbekannte und herkömmliche Produkte am Point of Sale durchsetzen zu können.
Schon einmal Kondome in einer bunten Süßigkeiten-Tüte gekauft? Beim Hersteller Einhorn ist das kein Problem. Die Tüten leben von lustigen Comicfiguren und buntem Design. Sogar Pommes sind auf einer Produkttüte zu sehen. Natürlich fallen diese Tüten im Regal mit den eher quadratisch klassischen Kondom-Schachteln auf und assoziieren, dass sie anders sind – uns zwar vegan. Aber das Wort „Condoms“ ist so klein geschrieben, dass Verbraucher*innen das Produkt vielleicht auch keiner Kategorie so schnell zu ordnen können oder sogar irritiert auf diesen Kategorieklau reagieren. Denn Kondome bedeuten nicht nur Spaß und Genuss, sondern in erster Linie Sicherheit. Insofern birgt ein Kategorieklau mitunter bestimmte Risiken, ob sich das Produkt bei den Kund*innen auch durchsetzen wird.
In den Premiumhimmel katapultiert
Exklusive Küche und gutes Essen sind angesagt wie nie. Viele neue, aber herkömmliche Produkte drängen hier auf einen wachsenden Markt. Um aus der Masse von Angeboten herauszustechen, bietet Château d’Estoublon einige seiner Olivenöle in Eau de Toilette-Flakons an. Ein solch mutiges und komplett fremdes Verpackungsdesign symbolisiert überlegende Qualität – und rechtfertigt einen hohen Preis. Verbraucher*innen denken sofort daran, sich mit einem solchen Produkt etwas Exklusives zu gönnen – fast so, als ob sie sich Haute Couture kaufen würden, nur erschwinglicher.
Andere Hersteller verpacken ihre Öle oder ihre Balsamico-Essig-Sorten in Flaschen, die wie hochwertige Weine oder Spirituosen aussehen. Mit einem guten Wein oder Whiskey verbinden Verbraucher*innen Genuss und schöne Momente mit Freunden und Familie. Diese Assoziationen übertragen sich durch den Kategorieklau automatisch auf eher alltägliche Kochzutaten wie Öl und Essig und schaffen dadurch emotionale und differenzierende Zusatzwerte. Produkte, die sich durch fremde Kategoriesignale erhöhen, sind nur wirtschaftlich, wenn Kund*innen bereit sind, einen hohen Preis zu zahlen.
Handelsmarken sollten sich genau überlegen, welche Assoziationen von anderen Kategorien geklaut werden sollen, und überprüfen, ob die gewünschten Assoziationen auch wirklich bei den Konsument*innen mit dem neuen Design ankommen. Dann steht auch dem erfolgreichen ‚Klauen‘ nichts mehr im Wege. Denn dieser liefert viele Vorteile für die Händler*innen: Wenn sie sich dafür entscheiden, Produktinnovationen in ihr Sortiment aufzunehmen, dann macht ein Produkt mit fremden Signalen durchaus Sinn, um routinemäßige Einkaufshandlungen zu durchbrechen. So werden neue Produkte einfach besser wahrgenommen und laden zum Ausprobieren und Wiederkauf ein. Darüber hinaus rufen sie bei den Verbraucher*innen ein neues positives Einkaufserlebnis hervor, was die Loyalität zu Händlerinnen oder Händlern stärken wird.
Dieser Artikel erschien zuerst bei ixtenso.