Cookie-Aus: Das Beste, was passieren konnte
Auch wenn es die Überschrift vermuten lässt: Dies ist kein Artikel, der dem Motto "Nichts kann so schlecht sein, dass es nicht auch was Gutes hat" folgt. Im Gegenteil. Dies ist ein Weckruf, denn im Wegfall der Third Party Cookies liegt eine eine echte Chance für das Marketing.
Jeder in unserer Branche, der nicht in den letzten 30 Monaten unter einem Stein gelebt hat, weiß eines ziemlich sicher: Apple und Google haben dem Third Party Cookie den Todesstoß versetzt. Das Targeting und die Ökosysteme im digitalen Werberaum werden sich also grundlegend verändern.
Wenn man den Beiträgen auf dem kürzlich zu Ende gegangen HORIZONT Kongress folgt, dann ist die Richtung für die künftige Zielgruppenansprache schon vorgezeichnet: First Party Data, ID- und grundsätzlich andere Lösungen – beispielsweise von Google – sollen das Ökosystem ohne Cookies neu erfinden.
Aber Moment mal: Die Third Party Cookies werden doch eingestellt, damit der User sich weniger verfolgt fühlt. Nun sollen also neue Systeme aufgebaut werden, die nachher wieder Personalisierung und Precision-Targeting möglich machen? Ganz ehrlich: Ist dies das Beste, was uns einfällt?
Ich meine: Wir sollten unsere Obsession mit Data und Digital in gesündere Bahnen lenken.
Natürlich sind digitale Möglichkeiten und Daten toll und sinnvoll. Es ist aber auffällig – und dies wurde auch nochmals auf dem HORIZONT Kongress deutlich –, dass wir als Branche diese einmalige Chance erneut nicht nutzen, um uns grundlegend zu hinterfragen.
Analysen – wie die kürzlich veröffentlichte von Dr. Grace Kite – zeigen, dass Digital nicht der alleinige Heilsbringer für hohe ROIs ist. Vielmehr werden die höchsten ROIs immer im Mix von Digital und Offline erreicht – und dies, obwohl Offline – zumindest targeting-datentechnisch – dem Digitalen klar unterlegen ist. Wir sehen weiterhin, dass wir uns im Digitalen ein Stück weit in einem fast schon undurchschaubaren Labyrinth verrannt haben: Dazu gehören Display-Werbung auf rechtsradikalen Websites und Werbegelder, die nur zu einem Bruchteil ankommen, weil entlang der Wertschöpfungskette links und rechts Gelder "verschwinden" u.v.m. Ja, das kann man alles in den Griff bekommen und da hilft vielleicht auch First Party Data.
Kritisches Denken zulassen und den Fakten stellen
Ich bezweifle, dass mit First Party Data das fast größte Problem ebenfalls verschwindet. Wir beschäftigen uns als Branche damit, wie die neue Datenstrategie aussehen muss, damit man so weiter machen kann wie bisher. Was wir aber nicht machen, ist, uns konsequent und auf breiter Basis die Frage zu stellen, wie wir insgesamt unserer Verantwortung gerecht werden, die Marken, die wir betreuen dürfen, auch wirklich zum Erfolg zu führen.
Dabei wäre nun die Chance da, einen Schritt zurückzutreten und uns, wie von OMD-CEO Florian Adamski dargelegt, mit den grundlegenden Dingen zu beschäftigen, nämlich, wie wir wieder effektivere Kommunikation sicherstellen können. Wir sollten Energie darauf verwenden, die übergreifenden und grundlegenden Dinge anzugehen. Denn wenn schon alles gefühlt umgeschmissen wird, sollten wir uns die Gelegenheit nicht entgehen lassen, andere Dinge zu hinterfragen.
An Hebeln, deren wir uns erstmal bedienen sollten, bevor wir uns in Klein-Klein verlieren, mangelt es nicht. Nur um einige Beispiele zu nennen, wie wir heute schon – und ganz ohne Cookie-Sorgen – wieder für mehr Effektivität im Marketing sorgen können:
- Marktsegmentierungen sind wieder als Grundlage für Entscheidungen zu nutzen statt User- und Kundendaten. Denn diese sind zwar granular, sagen aber nichts über Motivationen oder den finanziellen Wert von Segmenten aus.
- Statt Attributionsmodelle sollten wir konsequent ökonometrische Modelle einsetzen. Sie helfen, die Marketinginvestments über alle Maßnahmen und Kanäle besser zu steuern.
- Hilfreich, um Investmentlevel zu bestimmen, ist auch die Nutzung von evidenzbasierten Gesetzmäßigkeiten wie beispielsweise 'Exceeded Share of Voice' statt einer zu starken Konzentration auf Cost per Click oder ähnliche Metriken.
Der Weg nach vorne kann nur lauten: Lasst uns schauen, wie wir mit der Veränderung der Cookie-Thematik umgehen. Lasst uns aber bitte auch diese Jahrhundert-Chance nutzen und uns wieder auf das Wesentliche konzentrieren: Welche großen Hebel gibt es, um Marken erfolgreich in die Zukunft zu führen? Und da sind Cookies und Targeting nur eine Möglichkeit von vielen.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Horizont.