4 Marketing-Mythen, die verschwinden sollten

Zigfach widerlegt und trotzdem gebetsmühlenartig wiederholt. Von Sineks Frage nach dem „Why“ bis zum agilen Testen von Strategien.

Arbeiten im Marketing ist großartig. Ständig befinden sich Dinge in Bewegung, es tauchen neue Erkenntnisse und Wege auf. Annahmen werden untersucht und Best Practices werden geteilt. Und dennoch spuken Mythen in der Welt des Marketings herum, die sich auch nach vielfachem Widerlegen hartnäckig halten und einfach nicht verschwinden wollen.

Hier sind vier der Mythen, von denen ich mir wünsche, dass wir nie wieder über sie reden müssen.

Mythos 1: Menschen kaufen nicht, was du tust, sondern wieso du es tust

Unzählige Marketers liegen nachts wach und grübeln über Simon Sineks allseits bekannte Frage nach dem „Why“ – wie kann ich Kund:innen unser „Why“ spüren lassen – also, warum wir tun, was wir tun?
Doch die schlaflosen Nächte sollten sie sich sparen. Denn obwohl der Golden Circle mit seinen Implikationen bezüglich geteilter Überzeugungen für die Beziehung einer Arbeitgebermarke und ihren Mitarbeitenden elementar ist, trifft er auf die Beziehung zwischen Marke und Konsument – vorsichtig ausgedrückt – nur bedingt zu.


Das „Why“ kann sicher dazu beitragen, eine Marke im Wettbewerb zu differenzieren – aber nur, wenn diese Kernüberzeugung auch im direkten Bezug zur von der Marke erbrachten Leistung steht. Es muss also einen Mehrwert beim Erfüllen der Konsumentenbedürfnisse bringen.
So kaufen Google-Kunden in der Tat das „Why“, denn obwohl sie auch bei Bing, Yahoo und Ecosia nach Informationen suchen könnten, setzt Googles „Why“ „to organize the world’s information and make it universally accessible” noch einen auf das reine Bedürfnis drauf und verspricht, dass die Informationssuche bei ihnen einfach sein wird.
Dagegen trägt Avery Dennisons ehemaliges “Why” "To help make every brand more inspiring, and the world more intelligent“ rein gar nichts dazu bei, dass Kunden ihr Produkt kaufen. Denn, ja genau, es geht um die Firma, die einfache, bedruckbare Stickerpapiere produziert. Ein bisschen mehr Realismus ist da angebracht. Und wer es einfach überprüfen möchte, ob das Why zum Kauf beiträgt: Einfach mal den Kühlschrank aufmachen und sich die Frage stellen, von wieviel Produkten & Marken darin man überhaupt das Why kennt. Meine Wette ist von weniger als 1 %. Und wenn ich etwas nicht kenne, wie kann es dann dazu beitragen, dass ich deswegen kaufe? Ganz genau.

Mythos 2: Viele Follower bedeuten hoher Erfolg

100.000 Facebook-Fans – ein Grund zum Feiern! Oder doch nicht? Auf dem Papier betrachtet sieht es oft beeindruckend aus, wenn wir Follower, Downloads und Videoviews begutachten. Lange Zahlen mit vielen Stellen fühlen sich gut fürs Ego an. Aber sie haben ein großes Problem: Weder helfen sie dabei, die eigene Leistung zu verstehen, noch tragen sie dazu bei, zukünftige Strategien abzuleiten.

Ein klarer Fall von: „fühlt sich gut an, bringt aber halt nix“.

Zu häufig lassen sich Marketers von so genannten Vanity Metrics blenden. Darunter fallen aber nicht nur offensichtlich unaussagekräftige Metriken, wie Views eines gesponsorten Videos. Sondern auch Page Views, Follower oder registrierte User – jede Zahl kann eine nichtige sein, wenn sie kontextlos steht und oberflächlich betrachtet wird.
So sehen beispielsweise 20.000 registrierte User großartig aus, aber wenn davon nur 100 aktiv sind, dann verliert die große Zahl plötzlich doch an Attraktivität. Kontext und Ziel spielen die entscheidende Rolle bei jeglicher Zahl: Wie viele der Follower fallen auch in deine Zielgruppe hinein? Wie viele der Newsletter-Abos führen zu Kaufabschlüssen? Und wie viele deiner Blogleser melden sich eigentlich für ein Abo an?
Statt sich mit den wichtigen Zahlen zu beschäftigen, werden Abermillionen in Realtime Dashboards investiert, die keinen Mehrwert bieten. Aber gleichzeitig wird an den wirklich wichtigen Dingen, wie Marken- und Imagetrackings gespart. Weil es ja ach so Old School ist. Ein Paradox, was sich mir nicht erschließen will.

Mythos 3: In Krisenzeiten helfen Preispromotionen

Wenn in Portemonnaies Flautezeit herrscht, haben viele Firmen ein Lieblingswort: Rabatt! Die Annahme ist einfach: Menschen haben momentan weniger Geld zur Verfügung. Wenn wir unsere Produkte nun günstiger anbieten, werden sie dennoch gekauft und unsere Firma macht weiterhin Umsatz.

Klingt logisch. Stimmt aber nicht.

Zwar führen Preispromotionen zu einem kurzfristigen Verkaufsanstieg, jedoch auch zu unproportional hohen Gewinneinbußen. Und damit ist es noch nicht getan. Gerade unter häufigeren Preisaktionen leiden langfristig die wahrgenommene Markenqualität sowie das Markenimage. Eine langsame Kommodifizierung des Produkts mindert den Markenwert, was wiederum zu weniger Nachfrage führt.
Ein weiterer unerwünschter Nebeneffekt ist die aus Preispromotionen resultierende Erwartung der Konsument:innen an den Preis des Produkts. Wieso sollten sie das Produkt für 4 € kaufen, wenn doch absehbar ist, dass sie es nächste Woche mal wieder für 2,89 € erhalten können? So viel zum Thema „Sonder“angebot.
Die gerade genannten Punkte stimmen natürlich nicht nur in Krisenzeiten, sondern immer. In Rezessionen kommt aber noch etwas hinzu, wie Studien in den USA zeigen: Während Rezessionen sind Preispromotions weniger effektiv. Was erstmal dem gesunden Menschenverstand widerspricht, ist einfach zu erklären: Konsument:innen sind in dieser Zeit darauf fokussiert, Schlechtes zu vermeiden und so weniger gewillt, Angebote auszuprobieren und vermeiden, später noch härter von dem Anstieg zurück zum regulären Preis getroffen zu werden.

Statt in Krisenzeiten sofort die Promokiste aufzumachen, sollten Marken lieber das Spiel auf lange Sicht spielen – jede Krise hat auch ein Ende. Schaut man sich vergangene Krisen an, so wissen wir, dass im Durchschnitt die Marken gestärkt aus der Krise rauskommen, die auch während der schlechten Zeiten in ihre Marke investiert haben.
Verantwortliche sollten sich zudem, statt die nächste Rabattaktion zu planen, fragen: Kann ich mein Produkt umpositionieren oder meinen Zielgruppenfokus verlegen, um meine Abverkäufe zu steigern, ohne dabei Profiteinbußen machen zu müssen? Ein einfaches Beispiel: Sektmarken. In Krisenzeiten können plötzlich Champagnertrinker zur neuen Zielgruppe werden. Sieht die Welt wieder besser aus, haben die Marken ihren Wert bewiesen und werden von der neuen Zielgruppe weiterhin regelmäßig gekauft.

Schlechte Zeiten erfordern halt nicht immer drastische Maßnahmen.

Mythos 4: Der strategische Weg für die Zukunft heißt Test & Learn

Die Welt bewegt sich rasend schnell. Neue Trends, Bewegungen und ein ständiger Wandel legen uns nahe, dass wir besser keine Strategie zu fest in Stein meißeln. Insbesondere vor dem Hintergrund der durch die Digitalisierung immer stärker werdenden direkten Messbarkeit werden die Stimmen lauter, für die Test & Learn die Strategie der Zukunft ist.
Mit agilen Methoden sollen dabei jegliche Wege getestet und sich für den besten entschieden werden. Und ja, die Bereitschaft an den Tag zu legen, Dinge zu hinterfragen, mutig zu testen und über den Haufen zu werfen, ist wichtig. Aber für das Testen von Maßnahmen, nicht für die Strategie.
Wir sollten ganz bestimmt nicht versuchen, experimentell zu erarbeiten, wo die Herausforderungen unserer Marke liegen, die es für künftigen Erfolg zu lösen gilt. Und wir sollten auch nicht bereitwillig testen, wer unsere Zielgruppe ist und mit welchen Botschaften wir diese überzeugen können. Denn Test & Learn auf strategischer Ebene ist nicht agil und modern. Sondern planlos.

Dieser Artikel erschien zuerst bei Marketing Börse.