Start-Ups: Raus aus der Performance-Falle
Massenentlassungen bei Start-Ups und Scale-Ups wie bei Gorillas, Klarna, Nuri oder Getir machen momentan Schlagzeilen. Was läuft da falsch? Die vorherrschende Meinung: Krieg, Inflation, zögerliche Investitionen und die Überbewertung der Tech-Branche hinterlassen eben ihre Spuren. Und da ist sicherlich auch was dran.
Was aber nach meiner Erfahrung wirklich falsch läuft: Neben den oft nicht sauber geplanten Business Cases haben viele Start- und Scale-Ups gravierende Probleme mit ihrem Marketing. Sie setzen zu stark auf Performance-Marketing und vernachlässigen den Markenaufbau. Steile These? Dann führe ich das hier etwas aus:
Die meisten Start-Ups denken vom Produkt aus, entsprechend tolle Pitch-Decks haben sie, in denen sie aufführen, wie sie den Markt revolutionieren werden und welche Marktlücke sie besetzen. Aber es fehlt oftmals an einem tiefen Verständnis für die Zielgruppe. Eine naheliegende Vermutung: Wenn ich der Kommunikation der Delivery-Dienste trauen kann, dann ist die Zielgruppe mit "alle die zu faul sind aus der Tür zu gehen" zu beschreiben. Hier bräuchte es aber einen genauen Blick darauf, wie sich der Markt segmentiert: Was geben diese Personen im Schnitt aus? In welchen Preissegmenten sind sie unterwegs? Und vor allem: Was motiviert sie wirklich, bestimmte Produkte oder Services zu nutzen?
Wer die richtigen Fragen stellt, lernt seine Zielgruppe kennen. Und da gibt es auch keinen Short-Cut oder ein Weg an klassischer Marktforschung vorbei. Start-ups und Scale-ups versuchen dagegen meist, über reines Performance-Marketing Kund:innen anzusprechen. Oft genug werfen sie, wie Getir, mit Promotion-Codes nur so um sich. Das zeigt kurzfristig Wirkung, aber auch die Konkurrenz bietet Rabatte und schnell wird in der nächsten Woche dort geordert.
Attraktiv ist, wer edgy ist
Ein weiterer Punkt ist die austauschbare Kommunikation. Hier werden die Service-Attribute betont, statt die emotionale Ebene der Menschen anzusprechen: „Unser Service funktioniert schnell und unkompliziert.“; „Bezahle, wie du willst.“; „Wir liefern innerhalb von Minuten“.
Die Vorteile liegen auf der Hand, aber was darüber hinaus Kund:innen motivieren soll, ist nicht klar. Denn so austauschbar wie die Kommunikation ist, so austauschbar scheint auch der Service zu sein. Oft unterscheiden sich die Unternehmen in meinen Augen nur noch in Logo und Corporate Identity.
Zur Ehrenrettung von Gorillas und ihrer Agentur Heimat muss man an dieser Stelle betonen, dass die Kampagne mit Motiven wie "Mutter, der Mann mit den Cokes ist da" ein guter Weg eingeschlagen wurde. Denn durch Sprache und kulturellen Kontext waren sie auf einmal der coolere Lieferdienst. Und damit ist eine gute Basis vorhanden, auf der man aufbauen kann.
Statt auf Markenaufbau setzen viele der Tech-orientierten Startups rein auf Leadgenerierung über Klicks. Dann noch ein A/B Testing und schon hat man angeblich valide Aussagen über das Nutzungsverhalten. Ist es so einfach? Meiner Ansicht nach gibt es hier einen weit verbreiteten Unwillen, sich festzulegen. Dahinter steht die Annahme: „Schärfe ich meinen Markenkern und widme mich einem nachhaltigen Markenaufbau, dann schließe ich Leute aus. Die potenzielle Masse aus Kund:innen, die ich anspreche, wird damit kleiner.“ Aus Performance-Marketing-Sicht mag das richtig sein, aus Marketing-Sicht ist es das nicht. Attraktiv ist, wer edgy ist – wer eine Marke hat, die für bestimmte Attribute steht.
Wie kann das gelingen? Über eine Kommunikationsstrategie, die nicht nur über Facebook & Co. läuft, wo neben Anzeigenschaltung Content-Marketing das Höchste der Gefühle ist. Es braucht emotionalen Markenaufbau, eine klar definierte Marke und darüber hinaus einen gut geplanten Medienmix. Klassische Medien sind keineswegs tot – über TV, Radio, Out of Home-Maßnahmen erreiche ich mehr als die über Performance getrackte Zielgruppe in den Online-Medien. Dann tauchen Marken in unseren kulturellen Raum – man spricht über sie, sie etablieren sich in den Köpfen. Die aktuelle Kommunikation von Parship (Parship Group) ist hier ein gutes Beispiel, wie man nicht nur die Attribute des Angebots aufzählt. Betont wird nicht das unbegrenzte Angebot an Kontakten auf der Dating-Plattform, sondern eine gemeinsame Verantwortung füreinander, die für eine gesunde Dating-Kultur steht.
Wer sich als Start-Up also traut, die Zielgruppen über A-/B-Tests hinaus wirklich zu verstehen und den emotionalen Markenaufbau größer zu spielen, der steht auch bei den nächsten Schwankungen des Weltmarktes stabiler da. Denn ein schwacher Markt ist nicht die alleinige Entschuldigung für die Entlassungswelle, die momentan durch die Start-Up-Welt rollt.
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